Kolumne «Scheinheilig» von Oliver Meier
Wir schreiben Samstag den 3. Juli 2021. Der SC Kriens spielt im zweitletzten Meisterschaftsspiel zu Hause gegen den FC Winterthur. Die 1000 Zuschauerinnen und Zuschauer die im Kleinfeld sein dürfen sind gespannt, ob der SCK den einen für den Klassenerhalt noch nötigen Punkt holen wird. Es ist ein Knistern spürbar auf den nach wie vor in Sektoren getrennten Rängen.
Was waren das für tolle Fussballmonate. Ab Ende April durften wieder Zuschauer zu den Spielen pilgern, noch nicht ganz «wie früher» aber immerhin. Bei besten äusseren Bedingungen kann die Corona-Saison nun doch noch versöhnend abgeschlossen werden. Ein Glück hat die stets für die breite Masse denkende und handelnde UEFA beschlossen, dass die Ligen auch während der Europameisterschaft weiterspielen können.
Dieses Angebot haben diverse Verbände für ihre Meisterschaften (mit Ausnahme der jeweils höchsten Liga) dankend angenommen. So konnten Vereine, wie der SC Kriens oder Winterthur, die durch die Krise entstandenen Löcher während der zuschauerfreundlichsten Zeit von April bis Mitte Juli ordentlich stopfen. Durch die späten Anspielzeiten der Euro 2021, die die Uefa in acht Stadien nach England verlegt hat, konnte beides wunderbar nebeneinander funktionieren.
Eine finanziell katastrophale Saison konnte noch in eine «mit-blauem-Auge-davongekommene-Saison» verwandelt werden. Apropos: Auch am heutigen Tag kommt auch der SCK mit einem blauen Auge davon. Nach einer von Taktik geprägten Partie stochert Igor Tadic in seinem letzten SCK-Spiel (wie kitschig) die Kugel nach einer Ecke in Minute 89 irgendwie aus dem Gewusel heraus über die Linie. 1:1. Wir bleiben drin.
Wir haben wieder kurz vor dem Ende getroffen. Wie wir es uns von den letzten Heimspielen gewohnt sind, gibt es was zu feiern. Natürlich in gesittetem Rahmen. Trotzdem: 25 Grad, gemütlich und gesund für die Vereinskasse. Nun können wir total entspannt ins letzte Meisterschaftsspiel am 6. Juli in Zürich gegen den bereits feststehenden Aufsteiger GC steigen.
Zurück in den Wachmodus. Was sich «der Fussball» aktuell leistet, was er uns bietet ist leider weit weg von meinem Traum-Modus. Es wird gespielt als gäbe es keine Pandemie. Auf Teufel komm raus. Zuschauer sind irrelevant. Fussballkultur: Irrelevant. Und Regeln eigentlich auch. Millionen von Menschen sind in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Quarantäne-Vorschriften verunmöglichen ein Reisen im klassischen Sinn. Gilt jedoch nicht für den Fussball.
Borussia Mönchengladbach fliegt nach Budapest (zu diesem Zeitpunkt ein Corona-Hotspot by the way) um ein Champions-League-Heimspiel gegen Manchester City auszutragen. Molde (Norwegen) fliegt nach Villarreal um gegen Hoffenheim Europa-League zu spielen. Thomas Müller fliegt im Mondanzug mittels Privatjet Covid-19 erkrankt von Katar nach Deutschland. Im Sommer findet eine Europameisterschaft in 20 Ländern statt. Teams fliegen hin und her. Quarantäne braucht es nicht. Ist ja Fussball.
Ich mag nicht mehr zusehen. Nicht mehr zuhören. Und nichts mehr sagen. So wie die berühmten drei Äffchen. Ich ziehe mich zurück in den Traummodus. Bitte weckt mich kurz vor Igor Tadics Ausgleich gegen Winti. Come on Kriens.
(Diese Kolumne erschien im aktuellen Clubheft «Kleinfeld». Ich will auch so ein Clubheft)